Berliner Winter

Der Winter hat ja seine eigene Atmo­sphäre, so wie auch die Nacht. Der Schnee schluckt viele Geräu­sche, die Menschen stak­sen da durch, vorsich­tig, um nicht auszu­rut­schen. Um 1 Uhr morgens, nörd­li­che Fried­rich­straße. Kaum ein Auto, selten ein Fußgän­ger, die Straße ist leer. Unwirk­lich blinkt die Leucht­re­klame des Fried­rich­stadt-Palas­tes vor sich hin, nur für mich. Eigent­lich dürfte dieser Palast gar nicht hier stehen, denn die Fried­rich­stadt ist viel weiter südlich, etwa einen Kilo­me­ter entfernt. Aber das stört jetzt nieman­den.

Die Halte­stelle der Stra­ßen­bahn steht in vollem Glanz, an der Kreu­zung dahin­ter spult die Ampel ihr immer glei­ches Programm ab. Mono­ton, wie auf Droge. Von der Spree her zieht Nebel durch die Dunkel­heit, die Straße glänzt vom fest­ge­fah­re­nen Matsch. Was gestern noch schö­ner weißer Schnee war, klebt jetzt tot und dreckig an vorbei­fah­ren­den Autos. Schnee­ka­da­ver.

In Reih und Glied stehen die Miet­fahr­rä­der der Deut­schen Bahn in ihren Beton­blö­cken, die vermut­lich Gewin­ner des Jahres waren beim Wett­be­werb um das häss­lichste Design.
Neben mir stoppt ein klei­ner Fiat, die hollän­di­sche Dame will wissen, wo der Bahn­hof Fried­rich­straße ist. “200 Meter gera­de­aus.” Aber sie glaubt mir nicht, an der Kreu­zung wendet sie und fährt zurück. Irgend­wann landet sie auf diesem Weg in Hamburg.

Dann das vertraute BVG-Surren, an der Stra­ßen­bahn-Halte­stelle stoppt der Nacht­bus N6, niemand steigt ein oder aus. Nach­dem er weg ist, sind keine Autos und keine Lebe­we­sen mehr zu sehen.
Die leeren, feuch­ten Stra­ßen, der Nebel, die Kälte — wir könn­ten hier auch in Nowo­si­birsk sein. Es würde mich nicht wundern, wenn jetzt ein Wolfs­ru­del die Straße über­que­ren würde. Aber es ist doch nur Berlin-Mitte, Fried­rich­straße, in kalter Nacht.

[ Dieser Text erschien hier ursprüng­lich vor 10 Jahren ]

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Ältere Berli­ne­rIn­nen kennen ihn noch. Vor 50 Jahren wurde er abge­ris­sen, der Berli­ner Sport­pa­last in der Pots­da­mer Straße in Schö­ne­berg. Er fasste 10.000 Besu­cher, im Innen­raum fanden weitere 10.000 Menschen Platz. 1910 als Hohen­­zol­­lern-Sport-Palast eröff­net, […]

2 Kommentare

  1. Herr­lich atmo­sphä­risch- ich hab nun das Gefühl alles selbst gese­hen zu haben.. und Schnee­ka­da­ver ist ein guter Ausdruck dafür, was ich am selben Tag auf der Berli­ner Auto­bahn grau­schwarz an der Leit­planke kleben sehen musste.

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