Herr und Frau Mitternacht, bitte beschreiben Sie doch mal Ihren Lebenslauf hier am Gesundbrunnen.

Elli Mitternacht: Ich bin geboren am 8.5.1920, in Kreuzberg, gewohnt haben wir in der Görlitzer Straße, da war auch die Schule. Da ham wir gewohnt bis 1933, dann sind wir in die Karlstraße gezogen, heute heißt die Reinhardstraße. 1934 /35 war ich dann in der Haushaltsschule vom Vaterländischen Bauverein in der Burgstraße. Da haben wir dann Mittagstisch gehabt für die Studenten.
Danach hab ich dann Krawattenzuschneiderin gelernt, 1936/37 hab ich da gearbeitet in der Spandauer Straße. Früher hieß das May und Salm. Da war ich dann, bis ich geheiratet hab. Also bis 1939 und dann war ich zu Hause. Er war eingezogen und am 11.10.39 haben wir geheiratet. Das war vor über ’62 Jahren!
Robert Mitternacht: Am 1. September wurde ich eingezogen und im Oktober hab ich dann frei gekriegt, für die Hochzeit.
Elli Mitternacht: 1942 sind wir dann von der Brunnenstraße 23 in die Ruppiner gezogen, da haben wir bis ’64 gewohnt. Dann sind wir nach Britz gezogen. Und ’72 sind wir nach Spandau.
Mein Mann, der ist geboren am 12.12.1913, groß geworden ist er am Gesundbrunnen, in der Brunnenstraße 23. Die haben im Hinterhaus gewohnt, da waren die Toiletten noch auf dem Hof. Da haben wir gelebt bis 1942, bis zum Umzug in die Ruppiner Straße.
Robert Mitternacht: Ich war auf der Gemeindeschule in der Zehdenicker Straße. Da ist heute ein Gymnasium drin.
Wir hatten da auch immer den schönen Weihnachtsmarkt, in den 20er-Jahren so. Das fing an an der Invalidenstraße und ging hoch bis zur Bernauer. Aber nur auf unserer Seite, gegenüber war alles dunkel. Aber auf unserer Seite war es schön hell und geschmückt. Interessant war auch der U-Bahn-Bau, als wir als Kinder da rumgespielt haben.
Als Junge wollte ich eigentlich Schriftmaler werden, hatte auch ’ne Stelle gekriegt, aber der Meister der hat gerne geschluckt. Dann hat er immer gesagt: Du hast die verkehrte Farbe genommen. Und so weiter, also das hatte alles keinen Zweck. Dann war ich bei Quantmeyer und Eike, in der Wilhelmstraße war das.
Elli Mitternacht: Ne, in der Krausenstraße, da an der Friedrichstraße. Ein Teppichhandel.
Robert Mitternacht: 1939 bin ich dann eingezogen worden. ’45 war ich dann in der Internierung, oben in Heide, Schleswig-Holstein. Ich war ja Funker gewesen. 1946 sind wir dann zurückgekommen in die Ruppiner Straße 21.
Elli Mitternacht: Genau gegenüber von der Kirche. Heute ist das ja alles weg, unsere Seite ist komplett weg, nur die Kirche steht noch da.
Robert Mitternacht: Nach dem Krieg hab ich dann an der Brunnenstraße 100 gestanden, mit dem eigenen Stand:
»Der kalte Kuss,
ein Hochgenuss,
den jeder mal
probieren muss«.
Dann kamen die alle aus’m Osten: Ja, wir wollen auch nen Kuss. Ne Mark hat das dann gekostet für die, 20 Pfennige für die Westler, wir hatten ja verschiedene Währungen, man musste das ja dann umrechnen. 1946 war das.
Elli Mitternacht: Nee, 1946 hast du noch gar nicht gearbeitet, erst ab ’48. Und zur AEG bist du dann Anfang November 1954 gekommen. Da haste dann als Wickler gearbeitet bis, ich glaube 31. Dezember 1976.
Robert Mitternacht: Ja, wenn du dann 22 Jahre zurechnest, bis zur Rente. In der Wickelei in der großen Halle, direkt an der Gustav-Meyer-Allee.

Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?

Elli Mitternacht: Der kleine Bruder von Robert hat eine Bekannte von mir geheiratet. Eigentlich mochte ich die nicht, aber ich musste zur Hochzeit gehen. Meine Mutter und meine Tante sagten: Geh da mal hin, wenn die verheiratet ist, ist die Bekanntschaft sowieso aus. Und da hab ich den Robert getroffen.
Robert Mitternacht: Das war Liebe auf den ersten Blick!
Elli Mitternacht: Ja, so ungefähr.

(an Robert Mitternacht): In der Brunnenstraße, da hatte doch Ihr Vater oder Ihr Opa einen Buchhandel.

Robert Mitternacht: Ja, das war der Opa Hermann und der Vater Georg. Der Opa hat das begonnen, 1912. Das nannte sich Altbuch-Verkauf Mitternacht. Das war auf so einem Wagen, wie er auch auf dem Markt steht, aus Holz.
Elli Mitternacht: Er nannte sich zwar Altbuch-Verkauf, der hatte aber auch neue Bücher. Und das war der Opa Hermann, der war aber kein geborener Berliner. Der hat das angefangen. Aber dann haben sie beide da gearbeitet, der Vater und Opa Hermann.
Robert Mitternacht: 1912 haben die damit angefangen, als sie in die Brunnenstraße 23 eingezogen sind. Sie müssen sich das so vorstellen: In der Einfahrt stand der Wagen, da war ’ne Klappe, die wurde hochgeklappt, so als Werbung. Und abends wurde das zusammengeklappt damit das zu war und dann nach hinten geschoben. Die Bücher blieben da alle drauf in der Nacht.
Elli Mitternacht: Das war so: Wenn ich denn da so Bücher hatte und hingegangen wär, dann hatte er sich die angekuckt und für zwei Bücher gab’s dann eins.
Robert Mitternacht: Und dann hat er immer hinten den Preis reingeschrieben mit Bleistift.
Elli Mitternacht: Und manchmal hat bei den Büchern hinten das Ende gefehlt, dann hat der Opa einfach aus einem anderen Buch die letzten Seiten genommen und da reingeklebt. Wir haben dann immer gesagt: Opa was machste denn, das passt doch gar nicht rin mit der Geschichte. Aber er sagte, Hauptsache da steht Ende.
Robert Mitternacht: Aber das hat nur der Opa gemacht, der Vater nicht. Er hat aber auch die Bücher repariert. Wir hatten dann da drei Keller voll mit Büchern, das war das Lager.

Wie lange haben sie das gemacht?

Elli Mitternacht: Also Opa ist ja nach dem Krieg gestorben. 1945 mussten die ja dann da alle raus und ’45 ist er dann auch gestorben. Geboren 1859 und ’45 gestorben, der ist also 86 Jahre geworden.
Robert Mitternacht: Aber vorher ist der Vater Georg gestorben, Herzversagen. Am 16. Oktober 1940, schon mit ’49 Jahren. Am 21. ist er beerdigt und am 22. ist unsere Tochter geboren.
Elli Mitternacht: Und die Olga, das war noch seine dritte Frau, 1938 hat er die geheiratet, die hat den Bücherverkauf noch weitergemacht. Aber nur bis 1944. Aber die ist dann auch noch 95 geworden, die ihre Geschwister sind auch alle alt geworden, alle über 80.

Warum hat sie dann mit dem Verkauf aufgehört?

Elli Mitternacht: Wegen dem Krieg wahrscheinlich. Aber da waren wir ja nicht hier. Mein Mann war ja im Krieg und dann interniert und ich bin mit dem letzten Zug aus Berlin rausgefahren, auch nach Schleswig-Holstein.
Robert Mitternacht: Und ich hatte das Glück gehabt, dass ich doch da gleich in der Internierung war, da konnte ich nach der Entlassung gleich zu meiner Frau, die war ja nur zehn Kilometer entfernt.
Elli Mitternacht: Danach sind wir dann wieder zurück in unsere Wohnung in der Ruppiner Straße. Da war zwar schon ein Zimmer mit Beschlag belegt, aber in das andere konnten wir wieder einziehen.
Robert Mitternacht: Ich wollte noch erwähnen, das Haus in der Brunnenstraße 23, das hat dann nach dem Krieg der Russe genommen. Die Frauen von denen haben dann in unseren Wohnungen gewohnt. Jetzt kam dann mein Onkel, der war Elektriker und sagte zu mir: Kommt, arbeite doch mit bei uns. Ich frage wo denn, da sagte er: Beim Russen. Na ja, ich habs gemacht dann, und dann kam ich ins selbe Haus, in meine alte Wohnung rein und musste da die Leitungen neu verlegen! Das war schon merkwürdig.

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