Während die Wiege der Ackerstraße im Neuen Vogtland stand, wurde der nördliche Teil erst ein Jahrhundert später bebaut. Dadurch, dass der Ackerbürger Wollank sein Land vorwiegend der Kirche verkaufte, konnten St. Elisabeth und die Sophien-Gemeinde ihre beiden Friedhöfe an den Sandweg nach Wedding anlegen. Zwischen den Kirchhöfen und dem Galgen entstand um 1825 eine von der städtischen Bebauung völlig abgetrennte Ansiedlung, die in ihrer alltäglichen Versorgung selbständig blieb. Das war vor allem aufgrund der Gärten und Viehhaltung möglich. Diese isolierte Lage verschärfte sich ab 1840 kurzzeitig noch durch die Anlage der Stettiner Eisenbahn.
In den Jahren ab 1845 wurde dann aber im Zuge der Vergrößerung Berlins und später auch der einsetzenden Industrialisierung fast die gesamte Straße beidseitig bebaut. Erste Wohnhäuser gab es zwar schon ab 1825, doch erst 1855 begann ein regelrechter Bauboom in der nördlichen Ackerstraße. Seitdem wird dieser Teil der Straße auch „obere Ackerstraße“ genannt. Aus dieser Zeit steht heute nur noch ein einziges, zweistöckiges Gebäude, das Haus Nummer 94, gebaut im Jahre 1857.
Nur das Gelände am Galgen- oder Gerichtsplatz wurde nicht zur Bebauung freigegeben. 1842 zog hier der Heumarkt hin, der der neuen Bahnanlage weichen musste. Dass ein solcher Heumarkt noch gebraucht wurde zeigt, dass der Stettiner Bahnhof auch für die Pferdebahn ein wichtiger Verkehrspunkt war.

Erst 1861 erhielt der bisherige Galgenplatz den Namen Gartenplatz, doch es dauerte nochmal über 30 Jahre, bis am 26. Juni 1893 die St.-Sebastian-Kirche darauf eingeweiht wurde. Sie war die erste katholische Kirche im Norden Berlins, entworfen von Max Hasack.
Doch zurück ins Jahr 1840: In der „Neuen Ackerstraße“ standen in diesem Jahr sieben Häuser, deren Eigentümer zu Beginn des Jahres einen von ihnen, den Gastwirt Otto, beauftragten, eine Eingabe beim Polizei-Präsidium zu machen, um die Nummerierung ihrer Grundstücke durchzusetzen. Das Präsidium forderte vom zuständigen Gendarm eine Stellungnahme zu diesem Antrag, die er am 12. Februar 1841 abgab:
„Die Ackerstraße, welche gänzlich mit Häusern bebaut ist, reicht von der Stadtmauer an der Thorstraße bis zur Invalidenstraße.
In ihrer Verlängerung (die einen stumpfen Winkel mit ihr bildet) über die letztere hinaus, führt durch ein Sandfeld ein Feldweg nach dem Galgen, der die Neue Ackerstraße genannt wird. Es beruhet dieser Name, der mir ganz zweckmäßig erscheint, meines Wissens lediglich auf Convention. An diesem Sandwege, der etwa 1.500-1.700 Schritt lang ist, sind 7 Häuser gebaut, von denen zwey dem Suppl. Otto gehören. Der ganze übrige Weg ist öde Sandsteppe und eine Nummerierung auch nicht zeitig. Dies dürfte erst bei weiterer Bebauung nöthig werden. Die 7 Häuser sind nach den Namen der Eigenthümer genügsam zu finden.“ *
Daraufhin teilte das Polizei-Präsidium den Eigentümern mit, dass sie noch keine Nummerierung erwarten könnten und dass der Name Ackerstraße auch für den nördlichen Teil der Straße gültig ist. Dass dieser Beschluss jedoch nicht hieß, dass die Qualität der Straße in diesem Teil gehoben werden soll, zeigen weitere Gesuche der dortigen Hausbesitzer, worin sie sich um die Befestigung, Entwässerung und Beleuchtung ihrer Straße bemühten. Als Beispiel ein Brief vom 2. August 1847:
„Schon so lange als wir uns hier angesiedelt haben, haben wir fast alljährlich die Erfahrung gemacht, daß wenn im Winter und namentlich im Frühjahr Tauwetter anhält, wodurch die auf den unseren Häusern gegenüber liegenden Feldern sich befindlichen Schneemassen aufgelöst werden, unsere Häuser von einer solchen Wasserfluth überschwemmt werden, daß nicht allein jede Communication wie abgeschnitten ist, sondern auch sämtliche Kellerwohnungen unter Wasser gesetzt wurden. Der für uns entstehende Schaden ist sehr bedeutend und ist sogar geeignet, unseren Ruin herbeizuführen.“
Der Magistrat lehnte aber die Errichtung eines Entwässerungsgrabens ab, da er bei einer solchen Entscheidung ähnliche Anträge aus anderen Gegenden befürchtete. Am 13. September 1847 beantragten die Hausbesitzer der oberen Ackerstraße dann die Anlegung eines Brunnens, die Befestigung der Straße sowie eine Straßenbeleuchtung:
„Wir sind nicht mehr im Stande, einen ordentlichen Miether in unsere Häuser zu bekommen, und zwar um folgender Umstände willen:
1) ist der Weg so versandet, das man förmlich hinein sinkt und ein jeder denselben scheut,
2) da keine Laternen brennen, ist des Abends bei Dunkelheit ken Mensch im Stande, auch nur eine Hand vor Augen zu sehen, das Herumtreiben von Diebesgesindel, ja selbst Diebereien und Einbrüche hierdurch begünstigt.
3) Durch das Fehlen der Straßenbrunnen entsteht die größte Gefahr bei Feuersbrünsten, die hier um so gefährlicher ist, da die Häuser entfernt voneinander liegen und in einem jeden derselben eine bedeutende Comsumtion des Wassers stattfindet.
Mit Bezug hierauf wagen wir es, Euren Höchlöblichen Magistrat gehorsamst zu bitten, uns mit Brunnen und Beleuchtung, sowie, wenn auch nicht gerade mit Steinpflaster, doch mit festem Weg zu versehen.“

Bereits zwei Tage nach diesem Antrag wurde er abgelehnt. Begründung: Die Besitzer hätten die Häuser gebaut, obwohl sie den Zustand der Gegend kannten und sich deshalb nicht zu beschweren bräuchten.
In einem ähnlichen Antrag, der ebenfalls abgelehnt wurde, versuchte die Kirchengemeinde St. Elisabeth wenigstens eine Pflasterung der Ackerstraße zwischen den Friedhöfen zu erreichen:
„Dieser Theil der Neuen Ackerstraße hat die Eigenthümlichkeit, das er in seinem gegenwärtigen Zustande zu keiner Jahreszeit mit Bequemlichkeit und Leichtigkeit passiert werden kann. Im Sommer ist es kaum möglich durch zu kommen wegen der Schutt- und Misthaufen, die trotz aller polizeilichen Gebote am Eingange der Straße abgeladen werden, sowie wegen des tiefen Sandes, der sich in der Nähe des Kirchhofes befindet. Im Winter scheinen sich die Eis- und Schneeberge Grönlands vorzugsweise in dem Fahrweg dieser Straße zu lagern, daß ein Leichenwagen nicht selten in Gefahr schwebt umzuwerfen.
Am schlimmsten ist es jedoch, wenn anhaltender Regen oder Thauwetter eintritt, denn dann versinken Wagen und Menschen in den tiefen Morast oder in den kleinen Seen, die sich in den Vertiefungen gesammelt haben. Da nun die Leichen der Armen häufig zu ihrer Ruhestätte getragen werden und das Leichengefolge zu Fuß die Bahre begleitet, so hat man schon einen weiten Umweg übers Feld nehmen müssen, weil man fürchten mußte, daß Träger, Sarg und Gefolge im Schmutz der Straße stecken bleiben würden. Deshalb erscheint es als ein unabweisliches Bedürfnis diesen Theil der Neuen Ackerstraße baldigst zu pflastern. Auch erlauben wir uns noch zu erwähnen, daß der obere Theil der Ackerstraße immer mehr bebaut wird und es hat sich schon ereignet, daß die Kinder, welche zur 13. Communal-Armen-Schule gehen sollten, wegen des grundlosen Weges nicht zur Schule kommen konnten.“
Doch nur der Abschnitt zwischen der Friedhöfen wurde bis zum Oktober 1850 gepflastert, die Bewohner der nördlichen Hälfte der Straße mussten nocht sechs weitere Jahre warten.
1851 erbaute der „Verein für die Armen“ auf der kurz zuvor gekauften Parzelle hinter dem Sophien-Friedhof in der Ackerstraße zwei Vorderhäuser mit Wohnungen, die an Vereins-Mitglieder vermietet wurden. Die beiden Häuser waren viergeschossig und hatten eine relativ niedrige Miete. An dieser Stelle und auch auf der anderen Seite der Ackerstraße sollten viele Jahre später noch andere Einrichtungen für arme und obdachlose Menschen entstehen, vor allem um die Versöhnungskirche herum.
Mit der Pflasterung des nördlichen Teils war die Ackerstraße nun gut an die Stadt angeschlossen, was sich auch darin ausdrückte, dass 1857 direkt am Galgenplatz die erste Fabrik in dieser Gegend gebaut wurde. Es war die Fabrik von W. Wedding, die Werkzeugmaschinen herstellte und sich ab 1863 auf die maschinelle Versorgung der Waffenherstellung spezialisierte. Diese Fabrik wurde später von der AEG übernommen, deren bauliche Erweiterung in Richtung Brunnenstraße von hier ausging. Das Grundstück in der Ackerstraße wurde später von der AEG teilweise neu bebaut, die niedrigen Gebäude sind durch einen sehr großen Komplex ersetzt worden, der sich an allen vier Blockseiten sowie quer durch den Block hinzog.

* Aus den drei Bänden „Das Berliner Mietshaus“ von Johann Friedrich Geist und Klaus Kürvers. Auf über 1.500 Seiten wird darin die Entwicklung Berlins in den vergangenen 300 Jahren nachgezeichnet. Eine Pflichtquelle, wenn man zur Berliner Historie arbeitet.

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